Kant - Cassirer - Neukantianismus
Die Verbindung von aufklärerischer Vernunft und Wissenschaft
Immanuel Kant (1724-1804) „So gewiss diese Philosophie (Kants) auch als Ganzes eine geniale Tat bedeutet, ...so gewiss doch fügt sie sich ein in den Gesamtstrom der Philosophie, der Wissenschaft, der humanen Kultur. Sie gehört einer großen geistigen Familie an, deren Ahnenregister mindestens bis Platon und Parmenides hinaufreicht; zu der unter den Neueren nicht bloß Descartes und Leibniz, sondern ebensogut Galilei, Huyghens, Newton, Euler, die philosophisch gerichteten Forscher fast ohne eine einzige Ausnahme zu rechnen sind.“
Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, Kant-Studien 17, (1912), S. 193.
„Das wesentlich Neue und Entscheidende dabei war, daß Kant ... die Fragen welche den Ursprung (quaestio facti) und die tatsächliche Entwicklung der menschlichen Vernunfttätigkeiten betreffen, vollständig von denjenigen sonderte, welche sich auf ihren Wert (quaestio iuris) beziehen. (...) Damit wird im Ganzen der Versuch durchgeführt, die Rationalität von Welt und Leben bis in die letzten Tiefen des Bewußtseins zu verfolgen und eben dadurch nach allen Richtungen die Grenzen zu bestimmen, an denen der irrationale Inhalt aller Wirklichkeit beginnt.“
Wilhelm Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen, Mohr/Siebeck Verlag (1993/1892), S. 447
„Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist.“
„Wesen ist das erste innere Prinzip alles dessen, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört. Daher kann man den geometrischen Figuren (da in ihrem Begriffe nichts, was ein Dasein ausdrückte, gedacht wird) nur ein Wesen, nicht aber eine Natur beilegen.“
Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Hamburg, Meiner Verlag (1997/1786), Vorrede.
„In recent years, many philosophers of modern physics came to the conclusion that the problem of how objectivity is constituted (rather than merely given) can no longer be avoided, and therefore that a transcendental approach in the spirit of Kant is now philosophically relevant. The usual excuse for skipping this task is that the historical form given by Kant to transcendental epistemology has been challenged by Relativity and Quantum Physics. However, the true challenge is not to force modern physics into a rigidly construed static version of Kant's philosophy, but to provide Kant's method with flexibility and generality.“
Michael Bitbol / Pierre Kerszberg / Jean Petitot (Hrsg.): Constituting Objectivity: Transcendental Perspectives on Modern Physics, Springer Verlag 2010.
„Kant hat nicht mehr denselben, unmittelbar produktiven Anteil an der Gestaltung der Mathematik und der Naturerkenntnis wie Descartes und Leibniz. ... Seine transzendentale Methode muß das ‚Faktum der Wissenschaften‘ als gegeben voraussetzen. ... Seine Grundüberzeugung und seine Grundvoraussetzung besteht vielmehr darin, daß es eine allgemeine und notwendige Form des Wissens gibt, und daß die Philosophie dazu berufen und befähigt ist, diese Form zu entdecken und sicherzustellen. Die Vernunftkritik leistet dies, indem sie statt auf den Inhalt des Wissens auf die Funktion des Wissens reflektiert. Diese Funktion findet sie im Urteil...“
Ernst Cassirer: Descartes, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Band IV, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, S. 22.
„Es scheint so, als wenn Kant durch die Festlegung der Mathematik auf die reinen Formen der Anschauung Raum und Zeit Grenzen der Mathematik festgelegt und den schon damals vorhandenen Reichtum mathematischen Wissens nicht erfasst hätte. Dies ist, so meinen wir, ein Missverständnis. Es sieht in der Tat so aus, als wenn eine Beschreibung des Raumes und der Zeit als reine Formen als Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis die Behauptungen enthielte, dass Raum nur dreidimensional sein könnte und Zeit eindimensional und gerichtet. Kant hat aber nie behauptet, dass die Struktur von Raum und Zeit damit vollständig beschrieben sei. Ganz im Gegenteil, er setzt bei allem die Aktivität des Verstandes voraus. Der Verstand bildet Begriffe, speziell mathematische Begriffe in dem Sinne, dass er über verbale Definitionen hinausgehend entsprechende Objekte a priori schafft. Kant unterscheidet deutlich zwischen der Konstruktion eines Objektes und dem Postulat seiner Existenz. Man kann z. B. sicherlich keine fünfdimensionale Sphäre konstruieren, aber man kann ihre Existenz postulieren. Gerade diese Unterscheidung der Voraussetzung der Existenz eines mathematischen Objektes, wofür nur innere Konsistenz nötig ist, und seiner Konstruktion, die eine bestimmte Struktur des Anschauungsraumes voraussetzt, ist wichtig, um die Kantische Philosophie nicht misszuverstehen. Kant hat z. B. nie behauptet, dass es nicht möglich wäre, eine konsistente Geometrie anzugeben, die nicht euklidisch wäre. Die verbreitete Meinung, dass (...) die Mathematik der nicht-euklischen Geometrien seit Gauß, Bolyai und Lobatschewski die Kantische Philosophie der Mathematik widerlegten, ist missverständlich, wenn nicht falsch.“
Thomas Bedürftig, Roman Murawski, Philosophie der Mathematik, Berlin/Boston 2019, De Gruyter Verlag, S. 61f.
"His last thoughts on the subject in the Opus Postumum show him moving towards rather than away from a pure Rationalist position. If we ask which is of his distinguished predecessors, Descartes or Hume, he resembles more plainly in this connection, the answer can only be Descartes. He differs from Descartes on many details (...), but seems all the same to share his fundamental optimism about science, the view that we are really in possession of some scientific knowledge and every chance of acquiring more. (...) One feature that lends colour to Kant´s Rationalism about science is his conviction that the way natural forces operate can be given precise mathematical expression, in such a way that the results of experiments can be calculated beforehand in an exact manner."
W. H. Walsh, Kant and Empiricism, in: Joachim Kopper / Wolfgang Marx (Hrsg.), 200 Jahre Kritik der reinen Vernunft, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1981, S. 414f.
„Die Qualität der Empfindung ist jederzeit bloß empirisch, und kann a priori gar nicht vorgestellt werden, (z. B. Farbe, Geschmack, etc.). Aber das Reale, was den Empfindungen überhaupt korrespondiert, im Gegensatz mit der Negation = 0, stellet nur etwas vor, dessen Begriff an sich ein Sein enthält, und bedeutet nichts als die Synthesis in einem empirischen Bewußtsein überhaupt. (...) Alle Empfindungen werden daher, als solche, zwar nur a posteriori gegeben, aber die Eigenschaft derselben, daß sie einen Grad haben, kann a priori erkannt werden. Es ist merkwürdig, daß wir an Größen überhaupt a priori nur eine einzige Qualität, nämlich die Kontinuität, an aller Qualität aber (dem Realen der Erscheinungen) nichts weiter a priori, als die intensive Quantität derselben, nämlich daß sie einen Grad haben, erkennen können, alles übrige bleibt der Erfahrung überlassen.“
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B217 / B218.
Marburger Archiv – Kant und die Aufklärung: https://www.uni-marburg.de/de/fb03/philosophie/forschung/kant
Kant-Gesellschaft: http://www.kant-gesellschaft.de/de/kg/geschichte.html
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