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Die Verbindung von aufklärerischer Vernunft und Wissenschaft

Nachmetaphysischer Sinn (2000) Christian Krijnen

Umschlag Nachmetaphysischer Sinn

 Fragen nach dem Sinn des Lebens sind in - trotz, vielleicht auch: wegen der postmodernen Signatur der Gegenwart. Sie dokumentieren die Suche nach substantieller Orientierung in einem nachmetaphysischen Zeitalter. Vor dem Hintergrund der viel diskutierten ›Krise der Metaphysik‹ und des ›modernen Subjekts‹ fragt sich Krijnen: In welchem Sinne läßt sich die von Kant inspirierte neukantianische Wertphilosophie explizieren als ein (gelungener) Versuch, die sog. Kluft zwischen (wertfreier) Faktizität und Sinn unter nachmetaphysischen Bedingungen zu überbrücken? Ausgehend von dieser Problemstellung wird zum einen das philosophische System des Neukantianers Heinrich Rickert (1863-1936) als Paradigma eines derartigen Überbrückungsversuchs interpretiert; zum anderen werden die Ergebnisse von Rickerts Philosophie geprüft: auf ihre immanente Stichhaltigkeit ebenso wie in bezug auf konkurrierende Konzeptionen, aus Rickerts eigener Zeit, vor allem aber aus der Gegenwart. Relevant ist eine derartige Untersuchung allemal: Obwohl sich der lange zu Unrecht vernachlässigte Neukantianismus seit einigen Jahren verstärkter Zuwendung erfreut, wird Rickert, das systematische Schulhaupt des südwestdeutschen Neukantianismus, bislang eher übergangen. Das wird Rickerts führender Stellung in der deutschen akademischen Philosophie im ersten Drittel des 19. Jahrhunders ebensowenig gerecht wie dem systematischen Gehalt seiner Gedanken. Der systematischen Fragestellung der Untersuchung entsprechend, konzentriert sich Krijnen auf die Grundstruktur von Rickerts Denken, d. i. auf die sachlich maßgebenden Gesichtspunkte, denen Rickerts Denken folgt. Dieser Grundstruktur wird problemgeschichtlich und systematisch nachgegangen; dadurch bietet das Buch: (a) Elemente einer Einleitung in die Transzendentalphilosophie; (b) einen Beitrag zur Neukantianismus-Forschung im allgemeinen und Rickert-Forschung im besonderen; (c) einen systematischen und historischen Beitrag zur gegenwärtigen Debatte über Sinn und Wert. Allerdings läßt sich Rickerts Sinn- und Wertlehre nicht angemessen verstehen, wenn man nicht über einen adäquaten Begriff von philosophischer Begründung verfügt. Insbesondere kommt es darauf an, die prinzipientheoretische Bedeutung von Kants transzendentaler Wende für die Sinn- und Wertfrage zu verstehen und dabei den klassischen transzendentalen Grundgedanken als radikal nachmetaphysisches Fundierungstheorem zu begreifen. Das ist die Aufgabe von Kapitel 1. Vor diesem Hintergrund positioniert Kapitel 2 die neukantianische Sinnphilosophie systematisch, dann aber auch philosophiehistorisch; dabei werden zugleich für Rickert relevante Grundzüge der Philosophie R. H. Lotzes und W. Windelbands herausgearbeitet. Kapitel 3 bis 7 rücken Rickert ins Zentrum. Kapitel 3 skizziert präliminar Rickerts Programm; dabei treten Aspekte wie Ganzheit, Geltung, System sowie die Stellung der Erkenntnistheorie hervor. Eine Grundthese der Arbeit ist, daß bei Rickert die Erkenntnistheorie als Propädeutik für die ganze philosophische Kulturtheorie dient. Deshalb wird in erster Linie Rickerts theoretische Sinn- und Wertlehre analysiert. Kapitel 4 hat dabei vor allem die Funktion, den dogmatischen Grundzug nicht-transzendentalphilosophischer Begründungen herauszustellen, wobei besonders der erkenntnistheoretische Realismus und die Korrespondenztheorie der Wahrheit eine wichtige Rolle spielen. Kapitel 5 macht ernst mit der Notwendigkeit einer nicht-dogmatischen Klärung des Erkenntnisphänomens und kehrt zunächst das Problem des ›Anfangs‹ hervor. Sodann wird die für Rickert so wichtige Lehre von der heterothetischen Struktur des theoretischen Denkens ausführlich untersucht. In Kapitel 6 zeigt sich, daß und wie diese Lehre zusammenhängt mit Rickerts Unterscheidung von ›Zwei Wegen der Erkenntnistheorie‹, d. i. einer subjektiven und einer objektiven Logik. Diese Logiken beziehen sich auf eine immanente (noetische) bzw. transzendente (noematische) Sinnsphäre; beiden Sphären werden sowohl in ihrem Verhältnis zueinander als auch für sich bestimmt und Rickerts Lehre zugleich gegen etwa naturalistische (Biologismus) und fundamental-ontologische (Heidegger) Bestimmungen von Sinn und Wert abgegrenzt. Aufgrund der Analyse des theoretischen Sinns und Wertes zeigt Kapitel 7, daß und inwiefern die Struktur des Theoretischen eine paradigmatische Funktion für das Kulturganze übernimmt. Das führt zu Rickerts System der Werte. Vor allem soll in der Analyse dieses Systems eine Funktionsvorschrift rekonstruiert werden, mit deren Hilfe sich die ganze Welt des Menschen sowie die dafür maßgebenden Werte philosophisch verstehen lassen. Insgesamt zeigt sich: Die Moderne kennzeichnet sich weniger durch Sinnverlust als vielmehr durch eine Multiplikation von Sinn - so sehr, daß wir vor lauter Sinn den Sinn des Sinns nicht mehr sehen. Königshausen & Neumann.